Lachen über die Shoah?

von Klaus Davidowicz

20. Juni 2024

Wir haben uns auch in den letzten Wochen im Jüdische-Geschichte-Unterricht in Zusammenhang mit der Darstellung der Shoah im Spielfilm mit der Thematik "Komödien/Tragikomödien und die Shoah" befaßt. Wir haben uns ausführlich mit der Frage "Darf man die Shoah überhaupt filmisch nachstellen?" auseinandergesetzt. Sehr kritisch haben die Schüler:innen den Ansatz von Claude Landsmann gesehen, überhaupt keine Dokumentaraufnahmen etc. in seiner Dokumentation "Shoah" zu verwenden. Sie lehnten auch seine Haltung ab, dass man überhaupt keine Spielfilme zur Shoah drehen solle, da sie nicht darstellbar sei. Jeder Spielfilm über die Shoah kann für die Zuschauer:innen eine Brücke zum Verständnis dieses Grauen sein, wie es auch einflussreiche Filme wie die TV-Mehrteiler "Holocaust" /USA 1979) gewesen sind. Aber können das auch Komödien sein? Bereits während der Shoah hat man Shoah-Komödien gedreht. Was wenig bekannt ist, ist dass neben dem "Great Dictator" (USA 1940) von Charles Chaplin auch andere Komödien in den USA gedreht wurden, wie "Once upon a Honeymoon" (USA 1942). Man könnte glauben, dass man nach der Befreiung der Lager nie wieder eine Komödie zu diesem Thema drehen würde. Aber weit gefehlt.
Nach dem Krieg wurden bis heute eine ganze Reihe von Shoah-Komödien inszeniert, tragikomisch wie "Jakob der Lügner" (DDR1974) oder "Train de Vie" (Frankreich 1998) oder überdreht wie "L'As des As" (Frankreich 1982).
Der italienische mit vielen Preisen bedachte "La Vita è bella" (Italien 1997) hat den Schüler:innen besonders gefallen. Aber auch der mit vielen Klamauk-Szenen gedrehte "L'As des As", den ich schon grenzwertig finde, kam bei ihnen gut an. Ich bin gespannt auf ihre Kommentare.

Das Ende der Shoah?

von Klaus Davidowicz

27. März 2024

Als der Weltkrieg endete und die KZs befreit wurden, konfrontierten die alliierten Siegermächte die Bevölkerung mit den Verbrechen, die in ihrem Namen und mit ihrer aktiven und passiven Beteiligung begangen worden waren. So mussten z.B. die Bürger Weimars das KZ Buchenwald besuchen, die Frankfurter mussten sich Dokumentationsfilme über die KZ Dachau und Buchenwald anschauen, ehe Lebensmittelkarten verteilt wurden. Die Reaktionen waren in allen Fällen identisch: Davon haben wir nichts gewusst. In den folgenden Jahren fand so gut wie keine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus statt. Man war mit dem Überleben und Alltagssorgen befasst, die Vergangenheit wurde verdrängt und tabuisiert.
Zur Zahl der jüdischen KZ-Überlebenden gibt es folgende Quellen wie die Angaben der SS vom Jänner 1945: Danach gab es in allen KZs zusammen 714 211 Häftlinge. Davon waren 31 746 in Auschwitz inhaftiert. Auf den Todesmärschen vom Frühjahr 1945 sind vermutlich 200 000 Menschen umgekommen. Wie viele der 500 000 Überlebenden Juden gewesen sind, ist unklar. Der US-Historiker Henry Friedländer schätzt die Zahl auf 100 000, maximal 200 000.
Es mag heute selbstverständlich vorkommen, daß die Leiden dieser Betroffenen sich im Alltagsleben fortsetzen würde, diese Einsicht ist aber erst nach enormen Widerstand errungen worden.
Trotz der Variationen der Bilder - wie Psychosen, Borderline-Strukturen, Neurosen- gibt es ein bestimmtes klar umschriebenes Syndrom. Das hängt mit einer gewissen Einheitlichkeit der Traumatisierung in den Konzentrationslagern zusammen - trotz der Lagerunterschiede. Die Extremtraumatisierung im KZ ist die Kombination von extremtraumatischen Bedingungen im Sinne der Realisierung eines psychotischen Kosmos. Psychisch normale Menschen erlebten die realisierte Welt des kompletten Wahnsinns.

- Das Herausgerissensein aus dem vertrauten sozio-kulturellen Milieu und dem Familienverband
- Die ständige Trennungsangst bezüglich Nahestehender
- Das Miterleben von Folter und Mord
- Die ständige Erwartung des eigenen Todes
- Aushungerung, Zwangsarbeit, grauenvolle Experimente
- Die Unterbindung jeglicher Eigeninitiative
- Eine barbarische Entindividualisierung und Nummerierung
- Die Wegnahme aller persönlichen Dinge, Zerstörung der Privatheit, Niederreißen der Schamschranken
- Das systematische Außerkraftsetzen des Kausalitätsprinzips (für das was geschah, gab es keine vernünftigen Gründe)
- Der Entzug der strukturierenden Zeitdimension
- Die permanente Entwürdigung und Erniedrigung als zu vernichtende Minorität, als auszurotttendes Ungeziefer.
Die Befreiung konfrontierte die Überlebenden mit dem Ausmaß der Verfolgung. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit der Familie war meist nur eine Illusion, das Zuhause zerstört oder von Fremden bewohnt, die religiösen und kulturellen Einrichtungen existierten nicht mehr, das soziale Netz der Beziehungen war zerrissen. Diese Menschen hatten quasi als „Auserwählte“ ganzer Familien überlebt und so kam es zu belastenden Schuld-und Schamgefühlen, warum hatten sie z. B. überlebt und ihre Kinder wurden ermordet? Es entstand die "Überlebensschuld", das sogenannte „Survivor Syndrome“.

Was ist Antisemitismus - Versuch einer Definition

von Klaus Davidowicz

29. Februar 2024

Gibt es Kontinuitäten des Antisemitismus von der Antike bis zur Shoah und zur Gegenwart - – vom antiken Judenhass bis zum zeitgenössischem Antizionismus? Oder sind es völlig voneinander getrennte Abschnitte, da die lokalen und historischen Unterschiede zu groß sind? Gibt es zwar inhaltliche Überschneidungen zwischen beispielsweise Antijudaismus und Antisemitismus, aber existieren etwa die unterschiedlichen Spielarten der Judenfeindlichkeit nur parallel nebeneinander? Die Einteilungen der typischen Erscheinungsformen des Antisemitismus in antike Judäophobie, christlichen Antijudaismus, modernen rassistischen Antisemitismus, islamistische Judenfeindschaft und sekundärer Antisemitismus und Antizionismus mögen nützlich für die Wissenschaft sein, aber in der Realität zerfasert und zerfällt dadurch das Phänomen des „Antisemitismus“. Es gibt wichtige Differenzierungen zwischen kulturellem und rassistischem Antisemitismus, zwischen primärem und sekundärem Antisemitismus, genauso wie es aber überraschende Kontinuitäten der Phänomene des Judenhasses gibt. So kann man bestimmte antisemitische Bilder wie den „Ritualmordvorwurf“ von der Antike bis in die Gegenwart nachweisen. Den antisemitischen Ruf „Kindermörder Israel“ kann man zurzeit weltweit auf den Straßen hören, der letztendlich auch in den zahllosen Karikaturen im Internet nichts anderes als eine zeitgenössische Variante des Ritualmordvorwurfes ist. Schließlich sind der religiös begründete Antijudaismus, der völkisch-rassistische Antisemitismus oder der antizionistische Antisemitismus nur unterschiedliche Formen der gleichen Wurzel – dem Judenhass, ein Phänomen, das die gesamte jüdische Geschichte begleitet hat. So war die Shoah der bislang letzte Teil einer Vernichtungs-Geschichte jüdischer Zentren, die leider bereits in der Antike begonnen hat. Verfolgung und drohende Auslöschung ist Teil jüdischer Erinnerungskultur. Antisemitismus ist das Symptom einer kranken Gesellschaft, er ist irrational und aufklärungsresistent. Mit dem Bild des Juden, der mit dem Teufel im Bunde steht und damit das Böse verkörpert, bedient er die religiös-affinen Anhänger und mit der Wahnidee der weltweiten Verschwörung der Juden gegen die Menschheit kann man eben jedes Problem erklären.
In der Außenperspektive wird das jüdische Purimfest oft als „Karneval“ gesehen, was es nicht ist. In der jüdischen Tradition feiert man an Purim den Sieg über den Antisemiten Haman und das vereitelte Pogrom als Fest des Überlebens. Verfolgung und drohende Auslöschung ist Teil jüdischer Erinnerungskultur seit der Antike. Daher verwundert es nicht, dass im Midrasch zu den Proverbien aus dem 11. Jahrhundert folgende Lehre zu finden ist: „Denn wenn auch alle Feste in Wegfall kommen sollten, das Purimfest wird nimmer in Wegfall kommen.“(Midrasch Mischle, übersetzt von August Wünsche. Leipzig: Schulze 1885, Kapitel 9, Vers 2: 24)